Standortfaktorensystematiken

Unter einem Standort versteht man einen geographischen Ort, an dem Unternehmen durch den Einsatz von Produktionsfaktoren Leistungen erstellt. Es besteht insofern ein Standortproblem, da Unternehmen weltweite Standortalternativen zur Verfügung haben. Verschiedene Standorte können unterschiedliche Eignungsgrade besitzen (vgl. BEA 2004: 343f.). Die erste wissenschaftliche Abhandlung, die sich mit dem Standortproblem befasst wurde erstmals von THÜNEN (1826) verfasst.

Zwar bezogen sich die Erkenntnisse dieser Arbeit auf die Produktion in der Landwirtschaft, jedoch entstanden in den folgenden Jahren eine große Anzahl von Arbeiten, die sich mit der industriellen Standorttheorie befassten (vgl. BANKHOFEN 2001: 21). WEBER (1909) ist der erste, der aufbauend auf die Strukturmerkmale der modernen industrialisierten Wirtschaft eine systematisch durchgebildete Theorie entwickelt (vgl. BEHRENS 1971: 7). Er ist derjenige, der den Begriff des Standortfaktors einführt (vgl. BREDE 1971: 26). Nach Weber ist ein Standortfaktor ein „seiner Art nach scharf abgegrenzter Vorteil, der für eine wirtschaftliche Tätigkeit dann eintritt, wenn sie sich in einem bestimmten Ort, oder auch generell an Plätzen bestimmter Art vollzieht“ (WEBER 1909: 16). Der Vorteil liegt hier in einer Ersparnis von Produktionskosten gegenüber einem Standort. Weber teilt die Standortfaktoren in generelle und spezielle ein. Generelle Standortfaktoren sind für alle Industrien von Bedeutung, z.B. Transportkosten und Arbeitskosten, wohingegen spezielle nur einen bestimmten Betriebszweig betreffen, z.B. Verderblichkeit von Rohstoffen und Verfügbarkeit von fließendem Wasser.

Weiter teilt er die generellen und speziellen Faktoren nach ihrer räumlichen Wirkung in Regionalfaktoren, die bestimmte Industrien genau in bestimmte Regionen ziehen und in Agglomerativfaktoren, welche bewirken, dass es zu einer räumlichen Konzentration kommt und in Deglomerativfaktoren, welche bewirken, dass es zu einer räumlichen Dezentralisation kommt. Zusätzlich teilt er die generellen und die speziellen Faktoren nach ihrer Beschaffenheit in natürlich-technische und gesellschaft-lich-kulturelle (vgl. WEBER 1909: 16ff.). Als Kritikpunkt am Modell von Weber lässt sich nennen, dass hier eine zu einseitige Betrachtung auf die Kostenseite vorgenommen wird (vgl. BANKHOFEN 2001: 28). Insbesondere wird die Absatzseite vernachlässigt (vgl. BEA 2004: 347). BEHRENS (1971) greift diesen Kritikpunkt auf und entwickelt unter Berücksichtigung der Absatzseite seine „allgemeine Standortbestimmungslehre“. Diese Arbeit ist zur empirisch realistischen Standorttheorie zu zählen.[7] Zielsetzung der empirisch realistischen Standorttheorie ist, die Standortwahl in das System unternehmerische Entscheidung zu integrieren und praxisorientiert eine Unterstützung anhand einer empirisch realistischen Analyse der Standortproblematik zu liefern. Behrens Standortfaktorsystematik berücksichtigt neben Industriebetrieben auch den Handel und Dienstleistungsunternehmen (vgl. BANKHOFEN 2001: 28f.).

Eine moderne Standortfaktorsystematik geht auch auf Hansmann zurück. Er unterscheidet quantitative und qualitative Einflussfaktoren. Bei quantitativen Standortfaktoren kann direkt der Beitrag zum Unternehmenserfolg gemessen werden. Dies ist eben bei den qualitativen Standortfaktoren nicht der Fall. Sie müssen von den Entscheidungsträgern subjektiv geschätzt werden. (vgl. HANSMANN 1974: 137f.). Hansmann bezieht hiermit nicht nur Standortfaktoren in die Betrachtung ein, die exakt feststehen, wie z.B. Steuern sondern auch solche, die von der Ausprägung für jeden Entscheidungsträger subjektiv verschieden sind. Aufbauend auf zwei Schwachpunkten der aufgeführten Modelle entwickelte die Forschungsgruppe BESTAND eine neue Standortfaktorensystematik.[8] Diese beiden Schwachpunkte sind zum Einen, dass bei den genannten Modellen es zu einer Beschränkung auf Umfeldfaktoren kommt. Hierbei findet eine Vernachlässigung der unternehmensspezifische Performance und des Netzwerkbedarfes statt. Zum Anderen werden die tatsächlich erfolgskritischen Standortfaktoren nach der von einem Unternehmen verfolgten Standortstrategie nicht differenziert.

Standortfaktorensystematik nach BESTAND

Abb. 1: Standortfaktorensystematik nach BESTAND Quelle: KINKEL (2004): 53

Erweitert wurden hierbei die in der Literatur häufig anzutreffenden Kategorien „Marktfaktoren“ und „Produktionsfaktoren“ durch die Kategorien „Performancefaktoren“ und „Netzwerkbedarf“. Hier wird unterstellt, dass es nicht möglich ist, nur aufgrund der Produktions- und Marktfaktoren einen Standort richtig zu bewerten. Die Potenziale eines Standortes können nur geschätzt werden, wenn die für ein Unternehmen individuellen relevanten Standortfaktoren betrachtet werden. Die Performanceindikatoren stellen hierbei die Indikatoren dar, die für das Unternehmen erfahrungsgemäß zentral für das Erreichen strategischer Wettbewerbsvorteile sind. So kann z.B. eine Kostenführerschaft nur durch eine sehr hohe Produktivität und Prozessgüte erreicht werden.

Mit der zweiten Kategorie „Netzwerkbedarf“ werden die an einen Standort bereits genutzter Kooperationen und Netzwerke aufgelistet. Zum Anderen zeigt diese Kategorie, die Qualität bestehender Netzwerke und das Ausmaß für nötige Netzwerke an einem potenziellen Standort (Vgl. KINKEL 2004: 52ff.). Die Standortfaktorensystematiken liefern in dem Sinne Anhaltspunkte für die Gründe von Rückverlagerungen, da eine Rückverlagerung eine zweite Standortentscheidung darstellt. Ein Standort lässt sich anhand verschiedener Faktoren bewerten. Diese Faktoren verändern sich im Laufe der Zeit. Ändert sich zumindest subjektiv die Vorteilhaftigkeit von einzelnen, aber für das Unternehmen wichtige Faktoren, zugunsten eines anderen Standortes, lassen sich hierbei die Gründe einer Verlagerung vermuten. Eine Rückverlagerung in das Heimatland lässt sich jetzt dadurch erklären, dass sich bestimmte Faktoren entweder im Heimatland zum positiven, oder bestimmte Faktoren am ausländischen Produktionsstandort sich zum negativen verändert haben.

[7] Zu den weiteren Vertretern zählen u.a. RÜSCHENPÖHLER (1958) und MEYER (1960)

[8] Im Verbundprojekt BESTAND arbeiteten von Oktober 2000 bis September 10 Industriepartner und 3 Forschungsinstitute zusammen. Das Verbundprojekt wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmenkonzept „Forschung für die Produktion von morgen“ gefördert und vom Projektträger Produktion und Fertigungstechnologie (PFT), Forschungszentrum Karlsruhe, betreut. Weitere Informationen finden sichunter www.standorte-bewerten.de.

Bea, Franz Xaver(2004): Entscheidungen des Unternehmens. In: Bea, Franz Xaver; Friedl, Birgit; Schweitzer, Marcell (Hg.): Allgemeine Betriebswirtschafslehre. Band 1: Grundfragen. 9. Aufl. Stuttgart: Lucius und Lucius: 311-420.
Thünen, Johann Heinrich von (1826): Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalökonomie, oder Untersuchungen über den Einfluss, den die Getreidepreise, der Reichtum des Bodens und die Abgaben auf den Ackerbau ausüben, Hamburg: Penthes.
Bankhofen, Udo (2001): Industrielles Standortmanagement. Aufgabenbereiche, Entwicklungstendenzen und problemorientierte Lösungsansätze. Wiesbaden: Deut-scher-Universitäts-Verlag.
Weber, Alfred (1909): Über den Standort der Industrien. 1.Teil: Reine Theorie des Standorts. Tübingen: Mohr.
Behrens, Karl Christian (1971): Allgemeine Standortbestimmungstheorie. 2. Aufl. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Brede, Helmut (1971): Bestimmungsfaktoren industrieller Standorte. Eine empirische Untersuchung. Berlin; München: Duncker und Humblot.
Hansmann, Karl-Werner (1974): Entscheidungsmodelle zur Standortplanung der Industrieunternehmen. Wiesbaden: Gabler.
Kinkel, Steffen (2004): Erfolgskritische Standortfaktoren ableiten – eine erfahrungsbasierte Auswahlhilfe. In: Kinkel, Steffen (Hg): Erfolgsfaktor Standortplanung. In- und ausländische Standorte richtig bewerten. Berlin u.a.: Springer: 49-73.
Rüschenpöhler, Hans J. (1958): Der Standort industrieller Unternehmungen als betriebswirtschaftliches Problem. Versuch einer betriebswirtschaftlichen Standortlehre. Berlin: Duncker und Humblot.
Meyer, Wolfgang (1960): Die Theorie der Standortwahl: Entwicklung, Inhalt und wirtschaftstheoretische Betrachtung des Standortproblems. Berlin: Duncker und Humblot.