Ableitung von Hypothesen aus den theoretischen Ansätzen

Alle vorgestellten Theorien liefern mögliche Erklärungen, warum deutsche Unternehmen ihre Produktion aus dem Ausland rückverlagern. Im Folgenden soll versucht werden, diese Erklärungen aus der betriebswirtschaftlichen Literatur zusammenzuführen und dadurch systematisch konkrete Gründe für Produktionsrückverlagerungen abzuleiten.

Tab. 2 gibt noch einmal einen Überblick auf die aufgeführten Theorien und deren mögliche Erklärung von Rückverlagerungen.

Angewandte Theorien und ihre Erklärungen von Rückverlagerungen

Tab. 2: Angewandte Theorien und ihre Erklärungen von Rückverlagerungen
Quelle: Eigene Darstellung

Aus den jeweiligen Internationalisierungstheorien und deren Erklärungen von Rückverlagerungen lassen sich jeweils Hypothesen ableiten. Die Theorien der internationalen Arbeitsteilung erklären Verlagerungen und Rückverlagerung mit der verschiedenen Ausstattung von Produktionsfaktoren und denen daraus entstehenden komparativen Kostenvorteilen. Diese Erklärung impliziert, dass es wieder für das Unternehmen vorteilhafter geworden ist, ein Produkt am Industriestandort Deutschland herzustellen. Für diese Vorteilhaftigkeit liefern die einzelnen Theorien eventuelle Erklärungen. Zu nennen ist hier vor allem der technische Fortschritt. Aufgrund des technischen Fortschritts lassen sich Produktionskosten senken, z.B. aufgrund verbesserter Produktionsverfahren, die u.a. eine schnellere Durchlaufzeit und niedrigere Ausschussrate ermöglichen (vgl. MEREDITH 1987: 35).

Durch den technischen Fortschritt und der daraus folgenden Automatisierung lässt sich die Qualität verbessern, alleine schon aus dem Grund, da menschliche Arbeitsleistungen Schwankungen aufweisen können und sich diese Schwankungen durch die Automatisierung verringern (vgl. JUNGNICKEL 1990: 29). Es muss also wieder vorteilhafter sein, in einem Industrieland, statt in einem Entwicklungsland zu produzieren. Zusätzlich muss es demnach speziell am vorteilhaftesten sein am Standort Deutschland zu produzieren. Der Standort Deutschland muss somit auch den restlichen Industrieländern anhand der komparativen Kostenvorteile überlegen sein. Zusätzlich impliziert die Produktzyklustheorie, dass sich die Produkte der Unternehmen, die aus dem Ausland rückverlagern, in der Reifephase befunden haben müssten. Die Anforderungen an ein Produkt müssen sich sehr stark verändert haben und somit müssen neue Innovationen erforderlich gewesen sein.

Demnach lässt sich aus den Überlegungen der Theorie der internationalen Arbeitsteilung folgende Hypothese ableiten: Unternehmen entscheiden sich bewusst zu einer Rückverlagerung nach Deutschland, weil sich für das Unternehmen entscheidende Produktionsfaktoren am ausländischen Standort in Relation zum deutschen Standort oder Anforderungen an die Produkte des Unternehmens dahingegen verändert haben, dass es am Vorteilhaftesten ist, wieder in Deutschland zu produzieren. Die Standortfaktorensystematiken erklären Verlagerungsbewegungen anhand der Veränderung von Standortfaktoren an den verschiedenen alternativen Standorten. Daraus lässt sich für Rückverlagerungen ableiten, dass sich für das Unternehmen wichtige Standortfaktoren am deutschen Standort in Relation zum ausländischen Standort verbessert haben. Dies impliziert, dass eine Rückverlagerung eine bewusste Entscheidung für den Standort Deutschland ist. Dadurch lässt sich aus den Standortfaktorensystematiken folgern, dass der Grund für eine Rückverlagerung darin liegt, dass der Standort Deutschland bezüglich der für das Unternehmen relevanten Standortfaktoren von den betrachteten Standortalternativen am Vorteilhaftesten ist. Somit handelt es sich bei einer Rückverlagerung um eine bewusste Standortentscheidung für den Standort Deutschland.

Da vorhandene Produktionsfaktoren an einem Standort im übertragenen Sinne zu den Standortfaktoren zählen, lässt sich der Begriff „Produktionsfaktoren“ durch den Begriff „Standortfaktoren“ in der ersten Hypothese ersetzen. Wie bereits oben erwähnt, lässt sich anhand der Behavioristischen Theorie eine Rückverlagerung anhand eines fehlerhaften Entscheidungsprozesses erklären. Hierbei sind die Fehler entweder in der Entscheidung, ob überhaupt ein Auslandsengagement durchgeführt werden soll, oder sie sind bei der Entscheidung über den genauen Standort gemacht worden. Zu einer Entscheidungsfindung sind grundsätzlich Informationen erforderlich. Dies legt nahe, dass bei der Auswahl über die relevanten Informationen Fehler gemacht worden sind oder die vorliegenden Informationen falsch ausgewertet worden sind. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die zweite Hypothese: Unternehmen verlagern ihre Produktion wieder nach Deutschland, da sie aufgrund der Einbeziehung falscher und der Nichtberücksichtigung wichtiger Informationen im Vorfeld der Verlagerung am ausländischen Standort gescheitert sind. Die eklektische Theorie liefert drei Bedingungen, wann Direktinvestitionen vorteilhaft sind. Fällt eine dieser Bedingungen weg, so führt dies dazu, dass eine Direktinvestition nicht mehr vorteilhaft ist und es kann zu einer Desinvestitionsentscheidung kommen.

Im Einzelnen sind noch einmal alle drei Direktinvestitionsbedingungen zu betrachten. Nach dem Ownership Advantage müssen Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen gegenüber den anderen vor Ort ansässigen Wettbewerber verlorengegangen sein. Der Location Specific Advantage knüpft an die Standortfaktorensystematiken an und impliziert somit, dass sich die Standortfaktoren im Verhältnis zu den relevanten deutschen Standortfaktoren verschlechtert haben müssen. Der Internalization Incentive Advantage liefert die Erklärung, dass es für das Unternehmen gewinnbringender ist, die Güter in das Land zu exportieren bzw. eine Lizenz zu vergeben, als dort das Gut selbst zu produzieren. Alle drei Bedingungen weisen schließlich auch wieder darauf hin, dass sich eine oder mehrere Bedingungen am ausländischen Standort verschlechtert haben. Auch hier wird bei einer Rückverlagerung eine bewusste Entscheidung für den Standort Deutschland getroffen, da es aufgrund des Vorteilsverlustes zu einer bewussten Rekonzentration am heimischen Standort kommt. Der Standort Deutschland muss so vorteilhaft sein, dass es für die Produktion eines Gutes keinen optimaleren Produktionsstandort gibt. Deswegen wird auch hier an die erste Hypothese angeknüpft. Nun modifiziert sich die erste Hypothese zu folgender abschließenden Form: Unternehmen entscheiden sich bewusst zu einer Rückverlagerung nach Deutschland, da sich für das Unternehmen entscheidende Vorteile in Relation zum deutschen Standort am ausländischen Standort oder Anforderungen an Produkte dahingegen verändert haben, dass es am Vorteilhaftesten ist, wieder in Deutschland zu produzieren.

Abb. 2 zeigt noch einmal im Überblick die aus den Theorien abgeleiteten Erklärungen für Rückverlagerungen und den daraus folgenden Hypothesen.

Überblick über die Hypothesenbildung

Abb. 2: Überblick über die Hypothesenbildung

Quelle: Eigene Darstellung

 

Jungnickel, Rolf (1990): Technologien und Produktionsverlagerungen. Hamburg: Verlag Weltarchiv.

Meredith, Jack R. (1987): The strategic advantages of the factory of the future. Cali fornia Management Review 29(1987)3: 27-41.