Wissenschaftliche Studien zu Rückverlagerungen

Das Fraunhofer ISI veröffentlicht alle zwei Jahre Ergebnisse der PI-Erhebung. Betrachtet man nun die einzelnen  Gründe für die Rückverlagerungen, die in der PI-Erhebung ermittelt wurden, erhält man Hinweise, ob Unternehmen aus dem Ausland zurückkehren, weil sich bestimmte Bedingungen dahingegen geändert haben, dass es wieder vorteilhaft ist, in Deutschland zu produzieren oder ob eine Rückverlagerung vereinfacht als ein Scheitern am ausländischen Standort betrachtet werden kann, der aus einem unausgewogenen Entscheidungsprozess resultiert. 

Die Untersuchung zeigt, dass bei 48,3 % der Unternehmen Qualität, bei 46,4 % die Kosten der Produktionsfaktoren, wie beispielsweise Personal, Material und Kapital, bei 39,5 % die Flexibilität und Lieferfähigkeit, bei 32,9 % die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal, bei 28,5 % die Koordinations- und Kommunikationskosten, bei 25,9 % die Infrastruktur und bei 13,3 % Kapazitätsengpässe eine Rolle bei der Rückverlagerung gespielt hat. Steuern, Abgaben und Subventionen wurden als Gründe nicht genannt (Vgl. KINKEL/LAY/MALOCA: 30.). Die einzelnen Rückverlagerungsgründe wurden nicht noch einmal einzeln hinterfragt, so dass aus den genannten Gründen interpretiert werden muss, ob die einzelnen Rückverlagerungsgründe eher aus einem unausgewogenen Entscheidungsprozess oder einer bewussten Entscheidung für den Standort Deutschland resultieren. Bei erster Betrachtung deutet vieles daraufhin, dass Informationen im Voraus nicht richtig bewertet bzw. einbezogen wurde, Kosten unterschätzt und Potentiale am deutschen Standort gar nicht bzw. falsch bewertet wurden. Betrachtet man die Rückverlagerungsgründe Qualität und Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal, so deutet vieles daraufhin, dass das am Ausland erwartete Qualitätsniveau nicht realisiert werden konnte. Des Weiteren wurde die Qualifizierung des verfügbaren Personals entweder im Ausland falsch eingeschätzt oder das Potential und damit der Nutzen des verfügbaren Personals am deutschen Standort wurde unterschätzt. Auch bei der Betrachtung des Rückverlagerungsgrundes Infrastruktur, zeigt sich, dass wohl die Infrastruktur des ausländischen Standortes im Vorfeld der Auslandsverlagerung entweder überschätzt oder die Qualität der Infrastruktur am deutschen Standort unterschätzt wurde.

Die Rückverlagerungsgründe Kosten der Produktionsfaktoren und Kommunikations- und Koordinationskosten deuten daraufhin, dass der Vorteil der Kosteinsparungsmöglichkeiten am ausländischen Standort überschätzt wurde bzw. auftretende Kosten einer Auslandsproduktion unterschätzt bzw. gar nicht betrachtet wurde und erst bei einer Analyse der Gesamtkosten am ausländischen Standort vollständig aufgedeckt werden. So kann es sein, dass die Lohneinsparungen bei einer Auslandsproduktion bezüglich der Gesamtkosten überbewertet wurden. Die Betreuungskosten, die entstehen, wenn an einem ausländischen Standort produziert wird, wurden im Voraus entweder unterschätzt oder gar nicht betrachtet (vgl. KINKEL/LAY/MALOCA 2004: 31f.). Oft werden die Produktionskosten durch eine Auslandsverlagerung erst mittel- bis langfristig gesenkt. In vielen Fällen sind die Produktionskosten an einem ausländischen Niedriglohn-Standort in der ersten Zeit höher als bei der Produktion am heimischen Standort. Als Gründe sind hier u.a. die abnehmende Bedeutung der Fertigungs- an den Gesamtkosten, die höheren Betriebseinrichtungskosten, die erschwerte Zusammenarbeit der Entwicklung und Produktion und der kostenverursachende Aufbau eines Lieferantenetzes zu nennen (vgl. BOUTELLIER/KÖPPEL 1998: 30).

Abb. 4 stellt die versteckten Kosten einer Auslandsproduktion dar:

Versteckte Kosten der Auslandsproduktion

Abb. 4: Versteckte Kosten der Auslandsproduktion
Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an SCHULTE (2002): 161


Analysiert man nun den Rückverlagerungsgrund Flexibilität und Lieferfähigkeit und den Rückverlagerungsgrund Kapazitätsengpässe deutet auch vieles daraufhin, dass bestimmte Faktoren im Vorfeld der Verlagerung nicht beachtet bzw. falsch eingeschätzt wurden. Im Falle der Flexibilität und Lieferfähigkeit wurde der Faktor Distanz unterschätzt. So kann es beispielsweise bei kurzfristigen Lieferanfragen zu Lieferschwierigkeiten kommen (vgl. KINKEL/LAY/MALOCA 2004: 31f.). Diese Erklärungen unterstützen in vollem Umfang die zweite Hypothese, die Rückverlagerungen als ein Ergebnis des Scheiterns am ausländischen Standort aufgrund eines mangelhaften Entscheidungsprozesses im Vorfeld der Verlagerung betrachtet. Jedoch lassen die einzelnen genannten Gründe auch andere Interpretationsmöglichkeiten zu. So kann es bei vielen der genannten Gründe auch zutreffen, dass sich bestimmte Faktoren am deutschen Standort in Relation zum ausländischen Standort im Laufe der Auslandsproduktion verbessert haben. So kann es u.a. sein, dass kostengünstig ein hohes Qualitätsniveau am deutschen Standort erreicht werden kann, das so vor der Auslandsverlagerung nicht zu erreichen gewesen wäre. Außerdem kann es sein, dass durch Bildungsmaßnahmen in Deutschland wieder qualifiziertes Personal verfügbar sein ist, das vor der Verlagerung in Deutschland nicht verfügbar war bzw. kann es zu einer Verschlechterung der Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal am ausländischen Standort gekommen sein. Ein zusätzlicher Grund für eine bewusste Rückverlagerung aus Flexibilitäts- und Lieferfähigkeitsgründen könnte darin liegen, dass am deutschen Standort wichtige Kunden gewonnnen werden konnten, für die eine schnelle Verfügbarkeit der Produkte ein wichtiger Faktor ist. So lassen sich für die anderen Gründe auch weitere als die obigen Interpretationen finden, die von einem Unterschätzen bzw. Überschätzen von Faktoren im Vorfeld ausgehen. Besonders deutlich wird das bei den Kosten der Produktionsfaktoren. So kann es hier sein, dass sich Kostenvorteile, die vor der Verlagerung ins Ausland am ausländischen Standort vorhanden waren, im Laufe der Zeit zugunsten des deutschen Standorts verschoben haben und es aufgrund dessen zu einer bewussten Rückverlagerungsentscheidung für den deutschen Standort kommt (vgl. KINKEL/LAY/MALOCA: 31).

Diese Interpretationen der genanten Rückverlagerungsgründe unterstützen alle die erste Hypothese, wonach es sich bei einer Rückverlagerung um eine bewusste Entscheidung für den Standort Deutschland handelt, die aufgrund sich geänderter Faktoren, getroffen wurde. Leider wurden wie bereits oben erwähnt in der Untersuchung die einzelnen Gründe nicht weiter hinterfragt, so dass es unmöglich ist zu klären, ob im einzelnen Faktoren im Vorfeld überschätzt bzw. unterschätzt wurden oder ob sich für die Unternehmen wichtige Faktoren im Laufe der Auslandsproduktion in der Form verändert haben, dass eine Rückverlagerung nach Deutschland wieder die optimale Lösung war. KINKEL/LAY/MALOCA (2004: 32) tendieren aber dazu, dass Kosten im Vorfeld unrealistisch eingeschätzt wurden und Qualitäts- und Flexibilitätsaspekte in ihrer Wichtigkeit unterschätzt wurden. SCHULTE (2002: 160ff.) identifiziert in ihrer Untersuchung  eine intransparente Kostenentwicklung bei der Auslandsproduktion, organisatorische Komplexität und hoher Managementaufwand, unterschätzte Konsequenzen räumlicher Entfernungen, fehlende Kompetenzen und Personalprobleme, zu kurzer Planungshorizont der Geschäftsführung und Interessensdivergenzen und fehlendes Vertrauen im Unternehmensverbund als Probleme bei der Auslandsproduktion, die schließlich Unternehmen zur Rückverlagerung nach Deutschland bewogen haben. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass Unternehmen vor allem aufgrund einer unsystematisch vorbereiteten und unausgewogenen Verlagerungsentscheidung ihre Produktion aus dem Ausland rückverlagern. Oft wurde die Standortwahl vom Zufall und von kaum bekannten Kooperationspartner beeinflusst. Die betrachteten Unternehmen nutzten oft eine sich bietende Chance, ohne dass sie genau im Voraus abschätzen konnten, welche Anforderungen bei der Produktion im Ausland auf sie zukommen. Viele entscheidende Standortfaktoren wurden nur unzureichend bzw. gar nicht berücksichtigt. Die Unternehmen beschränkten sich zum großen Teil auf den Vergleich von Preisen für Löhne, Grundstücke und Rohstoffen. Eine Analyse des wirtschaftlichen oder auch des kulturellen Umfeldes im Ausland wurde zum großen Teil gar nicht vorgenommen. Potentiale, die der heimische Standort bot, wurden bei allen zehn Unternehmen nicht in die Betrachtung einbezogen. Auch in dieser Untersuchung zeigt sich, dass die betrachteten Unternehmen eine zu große Gewichtung auf Kosteneinsparungsmöglichkeiten legen.  Im Großen und Ganzen unterstützen die Untersuchungen damit die zweite Hypothese, die vom Scheitern von Unternehmen am ausländischen Standort aufgrund eines mangelhaften Entscheidungsprozesses ausgehen. Jedoch wird betont, dass es problematisch ist die Rückverlagerungsfälle so zu beurteilen, dass nur von einem Scheitern der Internationalisierung ausgegangen werden kann. Der Zeitraum der Auslandsproduktion lag bei den betrachteten Unternehmen bei durchschnittlich vier Jahren. In diesen vier Jahren hatten sich Rahmenbedingungen geändert, die im Voraus sehr schwierig bzw. unmöglich abzuschätzen. Somit können in manchen der betrachteten Fälle die Rückverlagerung als eine bewusste neue Standortentscheidung betrachtet werden (Vgl. SCHULTE 2002: 241.)

Boutellier, Roman; Köppel, Ruth (1998): Verlagern des Produktionsstandortes. IO-Management 67(1998)4: 30-33.

Kinkel, Steffen; Lay, Gunter; Maloca, Spomenka (2004): Produktionsverlagerungen ins Ausland und Rückverlagerungen. Ergebnisse aus der Erhebung „Innovationen in der Produktion“ des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik. Bericht zum Forschungsauftrag Nr. 8/04 an das Bundesministerium der Finanzen. Karlsruhe: Fraunhofer Institut für Innovation und Systemtechnik.

Schulte, Anja (2002): Das Phänomen der Rückverlagerung. Internationale Standortentscheidungen kleiner und mittlerer Unternehmen. Wiesbaden: Gabler.